Eiskalt: Das Geschäft mit illegalen Kältemitteln
Kein Krimi, sondern ein Hintergrundinterview mit Felix Flohr, Chemical Europe, und Volker Weinmann, Daikin Airconditioning Germany
Anfang Juli 2020 stellten Fahnder im Hafen von Rotterdam 14 Tonnen sogenannter teilfluorierter Kohlenwasserstoffe (HFKW) aus China sicher, die illegal in die EU eingeführt werden sollten. Wir haben mit Blick auf das anstehende Chillventa eSpecial mit Felix Flohr, Sales und Marketing Manager sowie Regulatory Specialist Refrigerants bei Daikin Chemical Europe, und Volker Weinmann, Beauftragter Politik, Umwelt und Verbände bei Daikin Airconditioning Germany, über diese illegale Praxis, deren Folgen und mögliche Lösungswege gesprochen.
Herr Flohr, wenn wir über Illegalität sprechen, müssen wir auch über Recht und Gesetz reden – zum Beispiel die Verordnung der EU über fluorierte Treibhausgase. Was hat es damit auf sich?
Felix Flohr: Die ursprüngliche sogenannte F-Gas-Verordnung stammt aus dem Jahr 2006 und regelte Themen wie zum Beispiel Systemkontrollen, die Zertifizierung von Personal oder Dichtheitsprüfungen und gab auch erste Verwendungseinschränkungen vor. Am 1. Januar 2015 trat dann eine neue F-Gas-Verordnung in Kraft, deren zentrales Element der sogenannte Phase Down war, also der Reduzierung von fluorierten Kältemitteln und damit des Treibhausbeitrags von fluorierten Gasen. Dazu sollte der Markt mit Vorgaben zu CO2-Äquivalenten gedeckelt und die im Markt erlaubte Menge an CO2-Äquivalenten schrittweise über ein Quotensystem reduziert werden. Das ging 2015 mit einer Baseline los. Dann erfolgte 2016/2017 eine Reduzierung um sieben Prozent. Aktuell befinden wir uns in der zweiten Phase mit einer Reduktionsvorgabe von 37 Prozent und ab nächstem Jahr liegt die Deckelung bei einer Reduktion von 55 Prozent. Dann haben wir also nur noch 45 Prozent der Baseline hinsichtlich der CO2-Mengenäquivalente der fluorierten Gase zur Verfügung.Hat die Wirtschaft bei der Entwicklung der Verordnung mitgewirkt und unterstützt sie die Reduktionsbemühungen der EU?
Felix Flohr: Ja, die Branche wurde über die verschiedenen Verbände gehört und wir als Daikin Chemical Europe sind auch ganz froh über diese F-Gas-Verordnung, denn sie gibt uns Planungssicherheit. Wir wissen, dass die von diesen Stoffen ausgehenden Emissionen verringert werden soll und das Quotensystem gibt uns einen konkreten Rahmen vor.
Volker Weinmann: Auch aus Sicht des Geräteherstellers stellte die zunehmende Reduzierung der erlaubten Kältemittelmengen zunächst eine Herausforderung dar. Unter anderem mussten technologische Veränderungen her. Das hat dazu geführt, das neue Produkte in den Markt gekommen sind, die gleichzeitig auch noch energieeffizienter arbeiten und uns in unseren eigenen Bemühungen für mehr Klimaschutz deutlich unterstützen.
Die F-Gase-Verordnung war und ist also eine Art Innovationsmotor für die Branche?
Felix Flohr: So kann man es sagen. Die Reduzierung hat auch bei uns massiv zu Neuentwicklungen im Bereich Kältemittel geführt. So ist eine komplett neue Generation an Kältemitteln entstanden beziehungsweise in der Entwicklung.
Volker Weinmann: …und sie hat für einen starken Impuls in Richtung Kreislaufwirtschaft gesorgt, also die professionelle Aufbereitung von bereits im Markt vorhandenem Kältemittel. Das ist nämlich vom bereits erwähnten Phase Down ausgenommen, die Aufbereitung also wirtschaftlich attraktiv und im Sinne der Umwelt sinnvoll.
Darauf werden wir gleich noch intensiver eingehen. Denn die F-Gas-Verordnung hat auch zu einem Problem mit illegal importierten Kältemitteln geführt.
Felix Flohr: Das ist leider tatsächlich so. Durch die EU-Verordnung ist ein geschlossener Markt entstanden. Wie von der EU-Kommission gewünscht sind so die Preise für Kältemittel gestiegen. Der Markt sollte so reguliert werden und Anreize schaffen, auf Kältemittel mit einem niedrigeren Global Warming Potential (GWP) umzusteigen. Die Diskrepanz zwischen den eher niedrigen Preisen in China und den höheren Preisen in der EU führen nun dazu, dass Material illegal nach Europa verbracht wird. Wir können hier durchaus von organisierter Kriminalität sprechen.
Und von welchen Dimensionen sprechen wir da?
Felix Flohr: Wir haben für dieses Jahr grob 115 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente zur Verfügung. Im Jahr 2018 hat unser Verband eine Studie in Auftrag gegeben, bei der zum Beispiel Zolldaten – also Export- und Import-Daten aus verschiedenen Quellen – miteinander verglichen wurden. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass 19 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente direkt illegal in den EU-Markt eingeführt worden sind – größtenteils aus China. Hinzu kommt eine unsichere Menge von 15 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten die aus China in die Nachbarstaaten der EU gelangt sind, von denen man aber nicht weiß, was damit passiert ist. Weder ist dort die Wirtschaft entsprechend gewachsen, noch haben dort Re-Exporte stattgefunden. In Summe sprechen wir also von 34 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten, die als illegale Kältemittel zusätzlich in die EU gebracht worden sind. Das ist knapp ein Drittel der Menge, die uns für den Gesamtmarkt zur Verfügung steht.
Haben Sie eine Erklärung dafür, wie es sein kann, dass so eine enorme Menge unbemerkt eingeführt werden kann?
Felix Flohr: Das passiert auf unterschiedlichen Wegen. Die eher kleinen Mengen werden tatsächlich richtig geschmuggelt, also zum Beispiel mit Lastwagen deren LPG-Tanks mit Kältemittel gefüllt werden und so die EU-Grenzen passieren. Aber die illegale Einfuhr von Kältemitteln in die EU findet auch im großen Stil statt: Ganze Container werden da verschoben. Ein Weg scheint zu sein, die Container als Transit-Importe zu deklarieren, die EU sozusagen nur Transitregion ist beim Transport nach Russland oder in die Ukraine. Diese Lieferungen gehen dann plötzlich irgendwo verloren. Man muss auch sagen, dass der Zoll nun einmal auch nicht alles kontrollieren kann. Speziell zu Corona-Zeiten hatten die Zollbeamten und -beamtinnen natürlich auch andere Prioritäten als fluorierte Gase.
Aber die Sachen muss ja auch jemand kaufen. Wie funktioniert das?
Felix Flohr: Tatsächlich ist es so, dass die illegalen Kältemittel über Ebay oder Internetplattformen verkauft werden. In der Regel kann man das als Käufer aber erkennen, denn wir sind per Gesetz verpflichtet, Kältemittel ausschließlich in sogenannten Returnable Cylinders – also Pfandflaschen – in den Markt zu geben und auch wieder zurückzunehmen. Illegale Kältemittel werden häufig in Einwegflaschen verkauft.
Wie steht die Branche zu der Thematik?
Felix Flohr: Da gibt es eine ganz interessante Diskussion, die auch vom Umweltministerium forciert wird: Die Lieferkette soll genauer überwacht werden und die Endanwender illegaler Kältemittel sollen zur Rechenschaft gezogen werden können. Aber das wird wie gesagt gerade noch diskutiert.
Volker Weinmann: Wir versuchen unseren Kunden klarzumachen, dass die Verwendung illegaler Kältemittel auch mit Unsicherheiten behaftet ist. Zum Beispiel weichen die Deklarationen der Gebinde oftmals von dem ab, was tatsächlich in den Flaschen abgefüllt ist. Bedeutet: Das Risiko von Defekten bei Anlagen, die mit solchen Mittel gewartet werden, steigt. Viel mehr Einfluss haben wir als Hersteller leider nicht. Es ist sogar schon vorgekommen, dass unsere Kunden, also Anlagenbauer, die unsere Geräte erwerben und warten, vom Endkunden gekauftes Kältemittel zur Wartung verwenden sollten. Für uns auch ein klarer Hinweis, dass tatsächlich auch die Endverwender zu den Käufern illegaler Kältemittel gehören.
Wie steht denn die Branche zur Idee der stärkeren Lieferkettenkontrolle?
Felix Flohr: Das ist eine zweischneidige Sache: Wenn man die Dokumentationspflichten und damit den administrativen Aufwand erhöht, dann steigen die Kosten. So wird das Produkt unterm Strich teurer und man schafft so noch mehr Anreize für illegalen Schmuggel. Wichtig wäre, dass die Behörden nicht nur mehr überwachen würden, sondern auch Tools an der Hand hätten, um den Einsatz illegaler Kältemittel direkt sanktionieren zu können. Der administrative Aufwand ist im Übrigen schon verhältnismäßig hoch, denn es müssen seit der ersten F-Gas-Verordnung Logbücher vorgehalten werden, die dokumentieren, wo welches Kältemittel in welcher Anlage verwendet wird.
Volker Weinmann: Die Initiative seitens des Umweltministeriums, so wie sie jetzt ist, macht meines Erachtens schon Sinn. Allerdings könnten die angedachten erweiterten Dokumentationspflichten und die damit verbundenen Hürden unter Umständen ausgerechnet die Anlagenbauer treffen, die sich gesetzeskonform verhalten, weil es sie vor unlösbare Probleme stellt. Das darf auf keinen Fall eintreten, weshalb wir da noch Nachbesserungsbedarf am Gesetzesvorhaben sehen.
Und was tun Sie als Kältemittel- und Gerätehersteller konkret?
Volker Weinmann: Wir haben europaweit eine Strategie festgelegt, dass wir alle Anlagen mit einer gewissen Füllmengengrenze, also Anlagen bis 14 Kilowatt Kühlleistung im Klimabereich, von R410A auf R32 umstellen, um so das GWP auf ein Drittel reduzieren zu können. Wir haben auch in den einzelnen Märkten wie Frankreich und Italien nach Hürden zum Beispiel im Bereich der nationalen Gebäuderichtlinien geschaut und nach Lösungen gesucht, diese zu überwinden. Außerdem erhalten zwei unserer VRV-Geräteserien bei ihrer Werksfüllung aufbereitetes Kältemittel, was europaweit zu einer Einsparung von ungefähr 150 Tonnen R410A Neumaterial gesorgt hat, aber dazu kann Felix Flohr sicher noch mehr sagen.
Felix Flohr: Als Hersteller von Kältemitteln haben wir verschiedene Lösungsansätze verfolgt. Einer davon sind unsere Investitionen in ein geschlossenes Kreislaufsystem: Wir hatten schon immer eine Anlage, die FCKWs und HFCKWs und HKWs zurückgenommen hat und aus denen wir wieder Rohstoffe für die weitere chemische Produktion geschaffen haben. Die Anlage in Frankfurt am Main haben wir erweitert, um gebrauchte Kältemittel so aufbereiten zu können, dass sie ihre ursprüngliche Aufgabe wieder erfüllen können und frischen Kältemitteln in nichts nachstehen. Zu dieser Aufbereitungsanlage gibt es übrigens noch eine schöne Sidestory: Sie wird mit überschüssiger Wärme aus einer benachbarten Prozessanlage betrieben. Für sie ist also keine zusätzliche Energie nötig. Gleichzeitig haben wir Kältemittel entwickelt, die im Servicebereich eingesetzt werden können, um alte Kältemittel mit einem hohen GWP zu ersetzen. Der Ersatzstoff R407H, der thermodynamisch und praktisch dem R404A gleichkommt, hat bei gleicher Sicherheitsklasse nur ein halb so hohes GWP. Zudem hat die Branche eine neue Klasse von Kältemitteln entwickelt, die sogenannten HFOs, die lediglich über ein GWP von circa 1 verfügen und nur bedingt brennbar sind – insgesamt ein wirklich guter Kompromiss, der auch sichere und vor allem energieeffiziente Systeme zulässt.
Und das hat alles die F-Gas-Verordnung herbeigeführt?
Volker Weinmann: Nein, aber sie hat unsere eigene Einstellung als Unternehmen zum Thema Klimaschutz und den Pariser Klimazielen bestätigt und unterstützt. Wir haben im Jahr 2018 als Unternehmensgruppe unsere Environmental Vision 2050 angekündigt, die unter anderem besagt, dass Daikin bis zum Jahr 2050 ein CO2-neutrales Unternehmen sein will und dass wir dafür unter anderem stark im Bereich Circular Economy investieren.
Felix Flohr: Dem kann ich nur beipflichten: Der Umweltgedanke ist für uns ein ganz wichtiger. Unser tägliches Bemühen ist darauf ausgerichtet, sichere Kältemittel in den Markt zu bringen, die energieeffiziente Anlagen und damit weniger Stromverbrauch und CO2-Emissionen möglich machen. Wir glauben auch an das Thema Circular Economy und sind froh, über jedes Kältemittel, das wir wieder zurückbekommen und aufbereiten können. Das ist für uns die Zukunft.
Können Sie das perspektivisch greifbar machen? Wann werden wir mehr aufbereitete als neue Kältemittel im Markt haben?
Felix Flohr: Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt schwer sagen, aber ab 2030 haben wir laut F-Gas-Verordnung nur noch 21 Prozent der ursprünglichen Menge von 2015 zur Verfügung. Auf dem Weg dahin muss es passieren. Wir sind dank unserer massiven Investitionen in die Anlagentechnik jedenfalls gut gerüstet, gebrauchte Kältemittel so aufzubereiten, dass sie dem Markt wieder zugänglich gemacht werden können.
Nochmal kurz zurück zum Thema Umwelt- und Klimaschutz. Wieso engagieren Sie sich da so stark?
Volker Weinmann: Wir stehen als gesamtes Unternehmen hinter den Zielen des Pariser Klimaabkommens. Ebenfalls stehen wir zu den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen, zu denen wir innerhalb unserer geschäftlichen Aktivitäten beitragen. Unser Umwelt- und Klimaschutz-Engagement wird deshalb durch unsere Muttergesellschaft weltweit vorangetrieben. Im Rahmen unserer Environmental Vision 2050 haben wir uns ja vorgenommen, nicht nur bezogen auf die Produktion der Produkte, sondern über den gesamten Lebenszyklus der Produkte hin bis zum Jahr 2050 CO2-neutral zu sein. Das ist in der Branche schon eine Besonderheit.
Klasse. Wird das Thema beim Chillventa eSpecial eine Rolle spielen?
Volker Weinmann: Wir engagieren uns traditionell sehr stark bei der Chillventa. Felix Flohr und ich werden auch in diesem Jahr bei dem eSpecial auf jeden Fall sichtbar und persönlich zum Beispiel über das Matchmaking erreichbar sein. Felix Flohr wird zudem über den Verband The European Fluorocarbons Technical Committee (EFCTC) in Erscheinung treten. Außerdem werde ich als 2. Vorsitzender des Informationszentrums Wärmepumpen- und Kältetechnik einen Vortrag über die Wasserstoffstudie des Fraunhofer IEE halten und die sinnvolle Verwendung von Wasserstoff zu beleuchten. Denn wenn wir überlegen, dass wir früher oder später nur noch regenerative Energiegewinnung aus Wind, Solar und Wasser haben, dann gilt es natürlich, diesen Strom möglichst effizient zu nutzen. Und da ist die Wärmepumpe für die Gebäudebeheizung deutlich effizienter als zum Beispiel die Verwendung des energetisch sehr aufwändig herzustellenden Wasserstoffs, was gerade an der einen oder anderen Stelle propagiert wird.
Danke für das ausführliche Interview und die interessanten Einblicke.
Presse Team
Bertold Brackemeier, Jasmin McNally
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